Meine Zeit sinnvoll vergringen

 


 

Am 1. Juli ist der Startschuss für den Bundesfreiwilligendienst (BFD) gefallen. Der Dienst ist viel mehr als nur ein einfacher "Ersatz" für die wegen der ausgesetzten Wehrpflicht wegfallenden Zivildienststellen. Er erweitert das Spektrum gemeinnütziger Tätigkeiten. Vor allen Dingen steht er für Menschen aller Generationen offen. 17.300 Verträge waren Ende Juni unterschrieben.
 
Wer aber sind die Menschen, die den BFD antreten, die vom Volksmund ganz schnell, zugleich liebevoll "Bufdis", wie früher die "Zivis", getauft wurden. Was bewegt sie, warum verpflichten sie sich?
 

 

 

 

Ein sehr gutes Gefühl, gebraucht zu werden

 
Man sieht Gabriele Petersen an, dass sie die meiste Zeit ihres Lebens als Sekretärin gearbeitet hat. Die ältere Dame, die im zweiten Stock der Geschäftsstelle des Berliner Roten Kreuzes an der Breitseite eines Bürotisches sitzt, ist modisch gekleidet, dezent geschminkt. Sie macht einen wachen Eindruck, erzählt spannend und wirkt wie eine Frau, die immer genau weiß, was sie tut. Dass sie eine der ersten sein würde, die den Bundesfreiwilligendienst antreten, muss ihr klar gewesen sein. Dass ihr Engagement mit einen Auftritt an der Seite von Bundesfamilienministerin Kristina Schröder starten würde, das hatte sich die jung gebliebene Berlinerin allerdings nicht träumen lassen.
 
"Das war für mich ein Sprung ins kalte Wasser. Ich habe ja gar nicht gewusst, was auf mich zukommt", beschreibt Petersen ihren Auftritt am 16. Mai. Zusammen mit anderen Freiwilligen unterzeichnete sie im Beisein von Kristina Schröder symbolisch die ersten Verträge für den neuen Bundesfreiwilligendienst. "Ich bin am Freitagnachmittag gefragt worden, ob ich an einer Veranstaltung teilnehmen möchte, wusste aber gar nicht, worum es ging. Als ich dann diesen Riesen-Aufmarsch sah, da rutschte mein Herz ganz schön in die Hose." Der Termin verlief hervorragend und sie war glücklich, dabeigewesen zu sein: "Ich war natürlich stolz - das darf ich doch ohne Weiteres sagen -, dass man mich als Bufdi mit einbezogen hat."
 
Als Petersen im Juli beim Berliner Roten Kreuz ihren Dienst antrat, tat sie dies in einer vertrauten Umgebung. Der Bundesfreiwilligendienst ist neu für sie, ihre Wirkungsstätte nicht. Nach einem langen, bewegten Berufsleben trat Petersen 1995 eine Stelle beim Berliner Roten Kreuz an, wurde Sekretärin der Geschäftsführung. 2003 ging sie in Rente, ihre Zeit beim Roten Kreuz war damit aber noch lange nicht vorüber.
 
Denn ein Ruhestand im Wortsinn war Petersens Sache nicht. Noch heute sagt sie: "Ich fühle mich einfach zu jung, um den Tag mit langweiligen Dingen zu verbringen." Und so war es logisch, dass sie schon 2004 wieder Sitzungen leitete und Versammlungen vorbereitete, jetzt als ehrenamtliche Mitarbeiterin. Inzwischen sitzt die Berlinerin zwei Mal pro Woche am Empfang. Sie macht das, weil sie sich dem Roten Kreuz "sehr verbunden" fühlt. Und weil sie gemerkt hat, "wie wichtig das ist, wenn ich mich einbringe." Es sei ein sehr gutes Gefühl, gebraucht zu werden, sagt sie.
 
Was ändert sich für Petersen mit dem Eintritt in den Bundesfreiwilligendienst? "Ich muss ein bisschen mehr arbeiten", sagt sie. Denn der Bundesfreiwilligendienst sieht einen Arbeitseinsatz von mindestens 20 Wochenstunden vor. Inhaltlich wird sich an ihrer Arbeit nicht viel ändern. Sie mache weiterhin das, sagt Petersen, was ihr am meisten liege: "Auf Menschen zugehen, das weitergeben, was ich im Laufe meines Lebens gelernt und erfahren habe." Dass sie das in einem Umfeld tun wird, das zum überwiegenden Teil von jungen Menschen dominiert wird, stört sie nicht im Geringsten: "Damit habe ich keine Probleme. Mein Verhältnis zu jungen Menschen ist ganz hervorragend. Denn mein Herz ist jung geblieben."

 

Bewegende Erfahrungen

 


Olivia Sardinas ist erst 21 und doch hat sie sich schon viele Gedanken über den Tod gemacht. Kein übliches Thema für die meisten Studierenden. Aber sie engagiert sich ehrenamtlich im Kinderhospiz Bärenherz in Leipzig. Dass sie selbst gesund ist und ein unbeschwertes Leben führen kann, ist für sie nicht selbstverständlich: "Ich möchte meine Zeit sinnvoll verbringen und nicht einfach so für mich behalten. Deshalb teile ich meine Zeit mit Kindern, deren Lebenserwartung stark begrenzt ist."
 
Der enge Kontakt zu schwerstkranken Menschen hat Olivia geholfen, einen völlig neuen Zugang zum Tod zu finden. Anfangs überwogen im Kontakt mit den schwerkranken Kindern Tränen, Ängste und Hemmungen. Sie hat inzwischen aber gelernt, dass ein Hospiz ein Ort ist, an dem viel gelacht und geliebt wird. "Besonders schön finde ich die Momente, in denen die Kinder spielen und lachen, oder in denen sie persönliche Fortschritte machen. Neulich war ich dabei, als ein kleines Mädchen zum ersten Mal gelaufen ist", berichtet Olivia.
 
Ihre Erfahrungen im Hospiz haben auch ihre Zukunftspläne verändert. Olivia, die immer Journalistin werden wollte, will nach ihrem Studium zunächst eine kleine Auszeit nehmen. Diese Zeit will sie im Hospiz verbringen. Sie überlegt auch, noch Psychologie zu studieren, um sich dann auf das Thema Trauerbewältigung zu spezialisieren.
 
Ihre Auszeit möchte sie gerne mit dem Bundesfreiwilligendienst (BFD) gestalten: "Der Bundesfreiwilligendienst ist eine super Alternative für jeden, der einen Zeitraum überbrücken möchte, oder für jene, die einfach einmal etwas für andere tun wollen."
                

Der Gesellschaft etwas zurückgeben

                                        


Philipp Greiner, 20 Jahre jung, hat gerade in Luckenwalde bei Berlin erfolgreich sein Abitur gemacht. Auch er unterschrieb am 16. Mai bei der Auftaktveranstaltung zum BFD mit Bundesfamilienministerin Schröder einen Vertrag als angehender "Bufdi". Sein Einsatz begann am 1. August 2011. Genau ein Jahr lang wird er bei der Berliner Aidshilfe mitarbeiten.
 
An vielen Themen rund um Politik und Gesellschaft interessiert, möchte Philipp Greiner Jura studieren, aber nicht sofort. "Für mich war klar, dass ich nach dem Abitur nicht gleich weiter lernen, sondern etwas anderes tun will. Ich wollte ein Jahr etwas machen, ohne den ganzen Schul- und Uni-Stress", so Philipp. Er entschied sich für einen Bundesfreiwilligendienst.
 
Anfänglich liebäugelte er auch mit einem Freiwilligen Sozialen Jahr im Kulturbereich. Aber für ihn war schnell klar, dass die Betreuung Aids-Kranker das Richtige für ihn sei. "Weil das ganze Thema HIV/Aids in meiner Generation dermaßen ins Hintertreffen geraten ist", findet Philipp und weil ihn das "ganz doll aufregt, dass das so ist".
 
Mit dem Thema hat er sich vor seiner Entscheidung natürlich näher befasst. Sich von der Aids-Hilfe ein ganzes Paket Informationen besorgt und mit erfahrenen Leuten, gesprochen. Dabei hat er schnell erkannt, wie wichtig es ist, "dass jemand da ist, der zuhört, der die kleinen, im Alltag so wichtigen Dinge erledigt und die Kranken nicht alleine lässt". Ebenso zählt für ihn, mit Leuten zusammenzuarbeiten, die hinter dem, was sie machen, stehen.
 
Philipp ärgert sich immer wieder, wenn ihn Journalisten in diesen Tagen fragen, warum er denn mit dem Bundesfreiwilligendienst ein Lebensjahr verschenke. "Für mich ist das nicht verschenkt und auch keine bloße Überbrückung". Ihm sei das Geben ganz wichtig. "Ich war jetzt über 20 Jahre immer Nutznießer der Verantwortung der Gesellschaft und ganz vieler anderer, jetzt will ich selber etwas geben."
 
Eingesetzt wird Philipp voraussichtlich in der Geschäftsstelle der Berliner Aids-Hilfe e.V. in der Meineckestraße und im Auguste-Viktoria-Klinikum in Berlin-Schöneberg. Er freut sich auf seinen vielseitigen Dienst – von typischen Büroaufgaben über die Vorbereitung von Veranstaltungen der Aids-Hilfe bis zur praktischen Betreuung von Patientinnen und Patienten. Keine Frage, dass es ihn freut, auch etwas von der Rechtsberatung für Aidskranke mitbekommen zu können.
 
Der BFD sei für ihn eine ganz tolle Sache, wichtig für die Selbstfindung, denn als junger Mensch habe er natürlich noch ein recht grobes Bild von seiner Zukunft. Und das Gefühl, gebraucht zu werden, sei ihm besonders wichtig.

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