Sexualisierte Gewalt - Der Gang vom Ermittlungsverfahren bis zur Verurteilung

Frauen Union fordert: Jede Vergewaltigung gehört ans Landgericht

Edewecht- In einer offenen Gesprächsrunde diskutierte die Frauen Union Ammerland mit Michael Herrmann, Richter am Landgericht des Landgerichts Oldenburg, das Thema „Sexualisierte Gewalt“. Was macht die Justiz, wenn eine Anzeige erstattet wird oder sie von dem Sachverhalt Kenntnis erlangt? Diese und weitere Fragen wurden mit Richter Michael Herrmann erörtert.

Die Teilnehmerinnen erfuhren, dass, sobald Kenntnis über eine Verge-waltigung vorhanden ist, ermittelt werden müsse. Egal ob es das Opfer will oder nicht. Hat die Polizei die Ermittlungsakte fertig gestellt, gehe diese zur Staatsanwaltschaft, die zunächst rein nach Aktenlage entscheide, ob ein sogenannten hinreichender Tatverdacht gegeben ist, was der Fall ist, bei einer mindestens 50,1%igen Wahrscheinlichkeit der Verurteilung. In diesem Fall werde Anklage erhoben, ansonsten müsse das Verfahren wegen fehlenden hinreichenden Tatverdachts eingestellt werden.

Herrmann wies darauf hin, dass „einfache“ Vergewaltigungen auch am Amtsgericht angeklagt werden. Da es gegen amtsgerichtliche Urteile auch das Rechtsmittel der Berufung gebe, was im Falle der Einlegung grundsätzlich zu einer Wiederholung der Beweisaufnahme und nochmaliger Vernehmung des Opfers führe, sei dies aus seiner Sicht kritisch zu sehen. Denn bei einer Anklage vor dem Landgericht könne nur Revision gegen das Urteil eingelegt werden. Das Revisionsverfahren ist jedoch keine neue Tatsacheninstanz, vielmehr wird dort nur das Urteil auf etwaige Rechtsfehler überprüft, ohne dass erneut Zeugen vernommen werden.

So könne die große Belastung der Opfer durch die Zeugenaussage verringert werden. Die Frau muss im Laufe eines Verfahrens die Tat ohnehin öfter (oft mehrfache Vernehmungen durch die Polizei) detailliert erzählen, sie muss sich damit auseinandersetzen, sich angriffige und unter Umständen verletzende Fragen gefallen lassen. Die Frau mache die Vergewaltigung mental immer wieder von neuem durch, so Hermann weiter.

Das Opfer dürfe nicht immer wieder erneut alles durchmachen müssen. Dies könne zu einer erneuten Traumatisierung führen. Daher müssen Vergewaltigungstaten immer vor dem Landgericht als erste Instanz angeklagt werden, fordert Corinna Martens Vorsitzende der Frauen Union.

Die Suche nach der Wahrheit gestalte sich i.d.R schwierig, wenn der Vorwurf einer Vergewaltigung erhoben wird. Wie so oft in solchen Fällen. Vergewaltigung sei ein klassisches Vier-Augen-Delikt, erörtert Michael Herrmann weiter: Es seien meist keine Zeugen dabei und es sei daher oft eine schwierige Beweislage. Häufig fehlen beweiskräftige Spuren und der Täter leugnet die Tat oder behauptet es sei einvernehmlich gewesen. Die erforderliche Beweisaufnahme nehme oft viel Zeit in Anspruch, die insbesondere bei den amtsgerichtlichen Kollegen, die eine Vielzahl von Strafrechtsfällen täglich zu bearbeiten haben, noch mehr fehle, als bei den Richtern am Landgericht. Für diese Beweiswürdigung ist ferner Erfahrung hilfreich, was ebenfalls für eine „Konzentration“ der Verfahren vor dem Landgericht spreche. In der Beweisaufnahme werde die Aussage der Geschädigten auf ihren Wahrheitsgehalt überprüft. Dies geschehe anhand der vom Bundesgerichtshof und Aussagepsychologen entwickelten Realkennzeichen. So spiele insbesondere die Aussagekonstanz, die Erlebnisbezogenheit, Originalität und Detailwissen etc. eine große Rolle. Auf der anderen Seite werde eine etwaige Motivlage zur Falschaussage, Aggravationen oder Belastungstendenzen geprüft.

„Belastend für das Opfer ist auch die Dauer: Im Falle der Vollstreckung von Untersuchungshaft gegen den Angeklagten müsse die Hauptverhandlung zwar grundsätzlich spätestens 6 Monate nach der Festnahme des Angeklagten beginnen. Ist dieser jedoch auf freiem Fuß, sind andere Haftsachen nach den Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts vorrangig zu behandeln. So kann von der ersten Vernehmung bei der Polizei bis zur rechtskräftigen Entscheidung des Gerichts auch mitunter mal über ein Jahr vergehen. Wünschenswert wäre natürlich gerade auch aus Opfersicht ein schnelleres Verfahren. Es muss jedoch konstatiert werden, dass dies – aufgrund der gestiegenen Fallzahlen und der gestiegenen Komplexität der Fälle – mit den derzeitigen Arbeitskräften nicht zu bewerkstelligen ist. Gerade auch bei uns steigen die Fälle, wo die Akten aufgrund des Ablaufs der erwähnten 6-Monatsfrist dem Oberlandesgericht zur Entscheidung vorgelegt werden müssen“, sagt Hermann.
 
Gefragt nach dem Umgang mit Bedrohungen im Netz erklärte Hermann, dass nach seiner Auffassung das derzeit geltende Strafrecht ausreiche; Beleidigung, Bedrohung und Nötigung seien auch nach heutigem Recht strafbar. Vielmehr stelle die Täteridentifizierung im Netz ein größeres Problem dar.

Die Frauen Union werde sich für die Anregungen des Richters Hermann einsetzen und sich weiterhin diesem wichtigen Thema widmen. Bereits am 23.04.2020 wird die Frauen Union dazu zu einem offenen Gespräch mit der Polizei einladen, so Corinna Martens.

 

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